Der Ramadan gehört zu Deutschland

Ercan Karakoyun

Der Ramadan gehört zu Deutschland

Am Sonntag geht der Fastenmonat Ramadan zu Ende. 30 Tage lang haben gläubige MuslimInnen von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang nichts gegessen und nichts getrunken. Drei Tage lang werden sie nun den Abschluss dieses besonderen spirituellen Rituals feiern: „Ramadan Bayram“, türkisch für das Ramadan-Fest, auch Zuckerfest genannt. Doch dieses Jahr war vieles anders. Ausgerechnet das Corona-Virus hat durch das Social Distancing – über die Grenzen der Religion hinweg – eine neue Verbundenheit hergestellt.

Endlich. Der Ramadan gehört zu Deutschland: Tagesschau, Tagesthemen, Heute-Journal, Galileo und auch das Kinderprogramm logo! haben dieses Jahr zu Beginn des Ramadans mit teilweise ausführlichen Beiträgen über die Fastenzeit der Muslime informiert. Damit spiegelt sich endlich in den Medien, was seit Jahrzehnten in Deutschland stattfindet: ein schönes, friedliches, freundliches sowie spirituelles Ritual. Nur selten hat die Mehrheitsgesellschaft davon überhaupt nur Kenntnis genommen. Vereinzelt ergaben sich interreligiöse Begegnungen, weil immer mehr muslimische Familien immer öfter ihre christlichen, jüdischen oder areligiösen Nachbarn zum abendlichen Fastenbrechen eingeladen haben.

Und jetzt also Ramadan in Zeiten von Corona. Und der krönende Abschluss, das Ramadan-Fest, das vor allem ein Familienfest ist, muss ebenfalls unter den strengen Bedingungen des Social Distancing stattfinden. Zur türkischen Tradition des Bayram gehört es, dass die Kinder den Älteren die rechte Hand küssen und dafür mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken belohnt werden. Daher auch der populäre Name „Zuckerfest“. Zuckersüß sind also die Erinnerungen an diesen Tag.

Spiritualität und Gemeinschaftssinn

Wie der gesamte Fastenmonat ist auch das dazugehörige Fest eine Zeit, in der die Muslime viel beten und sich auf Gott besinnen. Man versucht, Gutes zu tun und sich nicht von irdischen Dingen ablenken zu lassen. Muslime, die verstritten sind, nutzen die Gelegenheit des Ramadan-Fests, um sich zu vertragen. Feindschaften werden begraben und Freundschaften werden bekräftigt. Wie geht das in Zeiten dieser schlimmen Pandemie, die unseren ganzen Globus heimsucht? In den Fernsehbeiträgen stand diese Frage im Vordergrund. Das abendliche Fastenbrechen, die üblichen Familientreffen mit Freunden, Bekannten und Nachbarn blieben aus. Und auch der Bayram wird dieses Jahr kein überschwängliches Fest sein – und trotzdem wie der ganze Ramadan unvergessen.

Denn der verbindende Charakter des Ramadans wurde auf neue Weise gelebt. Die muslimische Bewegung Hizmet führte eine Vielzahl an Solidaritätsaktivitäten durch, zahlreiche Beispiele wurden in einer Twitter-Kampagne unter dem Hashtag #HizmetIstEngagment geteilt. So nähten Hizmet-Engagierte beispielsweise tausende Schutzmasken und verteilten sie an Pflege- und Altenheime, Krankenhäuser und Flüchtlingsunterkünfte. Egal ob Ärztin oder Pfleger, Lehrerin oder Erzieher – Menschen in systemrelevanten Positionen wurden mit kleinen ufmerksamkeiten
beschenkt. Vielen Flüchtlingsunterkünften wurde teilweise täglich Essen gespendet.

Besonderen Anklang auch unter Nichtmuslimen in ganz Deutschland fand die Spendenaktion #SpendeEineMahlzeit: Das Geld, das hierzulande unfreiwillig gespart wurde, weil Corona-bedingt das tägliche gemeinsame Fastenbrechen (das Iftar) ausfiel, sollte Menschen in den ärmeren Ländern einen gefüllten Iftar-Tisch ermöglichen. So brachen hierzulande die Menschen dieses Jahr ihr Fasten im Geiste zusammen mit Bedürftigen in aller Welt. Die gesamte Fastenzeit steht stellvertretend für Vergebung, Menschlichkeit, Barmherzigkeit und für ein harmonisches und friedliches Zusammenleben. Die drei Tage des Ramadan Bayram nutzen viele Muslime traditionell als Chance für einen Neuanfang. Man beginnt die Zeit nach Ramadan mit besonders guten Vorsätzen. Auch fördert er das friedliche Zusammenleben aller Menschen und eignet sich für einen Dialog der Kulturen. Der Ramadan 2020 unter Corona-Bedingungen hat dazu beigetragen, die Muslime für diesen tiefen Sinn der Fastenzeit zu sensibilisieren. So nehmen viele dieses Jahr die Festtage zum Anlass, um sich intensiver für Dialog, Toleranz und Versöhnung einzusetzen.

Denn leider wird in Deutschland immer noch Islam mit negativen Vorkommnissen assoziiert. Bei Festen wie dem Bayram können Muslime und Nicht-Muslime gemeinsam die positiven Seiten der Weltreligion erleben: Frieden, Freude und Fürsorglichkeit. Hatte die erste Generation türkischer Zuwanderer das Ramadan-Fest in Deutschland noch mit trauriger Sehnsucht nach der fernen Heimat gefeiert, so ist heute Heimweh kein Thema mehr. Im Gegenteil: Für die Muslime der dritten oder vierten Generation ist Deutschland längst und selbstverständlich die Heimat. Hier gibt es Moscheen, Kulturvereine und inzwischen sogar muslimische Friedhöfe, so dass auch die Tradition der Totenbesuche aufrechterhalten werden kann. Ein Bayram in Deutschland unterscheidet sich kaum noch von einem Bayram in der Türkei. Wir Muslime können dieses Fest daher als Gelegenheit sehen, Deutschland unseren Dank auszusprechen.

Festtage in Verbundenheit der Herzen begehen

Natürlich gibt es Probleme und Schwierigkeiten. Die gibt es überall, wo Menschen aufeinander-treffen, auch innerhalb von Familien, sogar unter Geschwistern. Ganz in der Tradition des Rama-dans sollten wir das Schlechte vergessen und uns an das Gute erinnern. Das Ramadan-Fest bie-tet eine Gelegenheit, um den ersten Schritt zu machen. Mögen einzelne Menschen darüber dis-kutieren, ob und wie der Islam zu Deutschland gehört. Die Realität hat die Antwort längst gege-ben. Eine tiefe Freundschaft verbindet die Muslime mit der Mehrheitsgesellschaft. Sie fühlen sich hier wohl. Das wird sich auch dieses Wochenende wieder zeigen, wenn Menschen – jenseits aller Grenzen der Religion — miteinander den Abschluss der Fastenzeit feiern.
Ich wünsche allen Musliminnen und Muslimen ein frohes Ramadan-Fest und einen besinnlichen Bayram.

 

Bayramınız mübarek olsun! ʿĪd mubārak!

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